Was heißt eigentlich schulfähig?

Und was brauchen Kinder, damit sie in der Schule gut klar kommen?

Wenn du Erzieher*in in einer Kita bist, hast du dir diese Fragen bestimmt schon oft gestellt.

Mit diesem Blogartikel will ich mal den Versuch einer Antwort wagen.

Also Ärmel hochgekrempelt und los geht’s mit einem Überblick über die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte zum Thema Schulfähigkeit.

Definition: Was ist Schulfähigkeit?

Ein Blick in die pädagogische Fachliteratur und ins Internet macht schnell klar: Eine eindeutige, allgemein gültige Definition von „Schulfähigkeit“ gibt es nicht. Im „Fachwörterbuch für Erzieherinnen und pädagogische Fachkräfte“ heißt es immerhin:

„Als ’schulfähig‘ bezeichnet man ein Kind, das in der Lage ist, den Bildungsgang einer Schule mit all seinen inhaltlichen und sozialen Anforderungen zu bewältigen.“

Kurt Vollmer, Herder Verlag, 2012, S.176

„Schulfähig“ wird ein Kind also nicht nur durch bestimmte kognitive Fähigkeiten, die für das Lernen in der Schule wichtig sind. Sondern auch durch soziale und emotionale Kompetenzen, die nötig sind, damit das Kind den Übergang von der Kita in die Schule gut meistern kann.

Schließlich stellt der Wechsel von der Kita in die Schule das Kind vor eine ganze Menge Herausforderungen:
Ein neuer Ort, ein neuer Rhythmus, neue erwachsene Bezugspersonen, eine neue Kindergruppe, …
Um sich hier gut einzugewöhnen, braucht das Kind Fähigkeiten wie Selbstständigkeit, Selbstvertrauen und (ganz wichtig und darum immer mehr im Fokus) Resilienz – also eine gewisse Widerstandskraft, die dabei hilft auch mit neuen, teils auch schwierigen und herausforderden Situationen umzugehen.

Schulreife oder Schulfähigkeit?

Spannend ist, wie sich der Blick auf Kinder im Übergang von der Kita in die Schule verändert hat. Während man früher noch von Schulreife sprach, gilt der Begriff inzwischen als veraltet und überholt. Denn bei ihm schwingt mit, dass die Fähigkeiten und Voraussetzungen dafür, dass ein Kind „bereit“ ist für die Schule, ganz von allein „reifen“.

Ganz so einfach ist das aber nicht.

Viele Studien konnten inzwischen nämlich zeigen, dass äußere Einflüsse, vor allem die Lernanregungen und Entwicklungschancen innerhalb der Familie und in der Kita ganz entscheidend dafür sind, dass Kinder die Fähigkeiten und Kompetenzen entwickeln, die sie benötigen, damit sie in der Schule gut klarkommen.

Darum wird Schulfähigkeit inzwischen auch als das „Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses“ (Kurt Vollmer) angesehen. Und wie dieser Entwicklungsprozess verläuft, hängt eben von vielen Faktoren ab.

Vier Bereiche der Schulfähigkeit

Armin Krenz hat in seinem Buch „Ist mein Kind schulfähig?“ vier Bereiche der Schulfähigkeit herausgearbeitet:

👉 emotionale Kompetenzen
👉 soziale Kompetenzen
👉 kognitive Kompetenzen und
👉 motorische Kompetenzen

Dabei merkt er kritisch an, dass die üblichen Einschulungsverfahren (also die Einschulungsuntersuchungen vor Schuleintritt) leider noch immer überwiegend die kognitiven Aspekte in den Fokus rückten. Dabei seien die kognitiven Kompetenzen nur einer von mehreren Teilbereichen. Und die anderen drei Teilbereiche seien ebenso wichtig und „die Summe dieser vier Bereiche [ergibt] erst ein Ganzes: die Schulfähigkeit.“ (Krenz S. 62)

Ich finde, diese Betrachtungsweise – also die Benennung dieser vier Teilbereiche und ihre Einordnung als gleich bedeutsam – ist ein Riesenschritt, wenn es um den Begriff der Schulfähigkeit geht!!

Denn sie ermöglicht einen Blick auf das ganze Kind, das eben nicht nur mit seinem Kopf in die Schule geht, sondern auch mit seinem Herz und seinem ganzen Körper!

Das scheint eigentlich so klar und selbstverständlich.

Aber auch, wenn sich dieses ganzheitliche Verständnis von Schulfähigkeit immer mehr verbreitet (die Aufteilung in die vier Teilbereiche ist im Internet und in der Fachliteratur inzwischen immer wieder zu finden):

Immer noch wird den kognitiven Fähigkeiten häufig ein besonders hohes Gewicht zugeschrieben. Und viele Eltern wünschen sich gerade mit Beginn des letzten Kitajahrs, dass ihre Kinder in diesem Bereich besonders gefördert werden:
„Spielen die Vorschulkinder eigentlich immer nur? Oder macht ihr mit denen auch gezielte Übungen? Bearbeiten sie auch mal Arbeitsblätter?“ Na, wer kennt’s?

Wie wird ein Kind schulfähig?

Wir wissen nun also schon: Schulfähigkeit ist das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, dessen Verlauf von vielen Faktoren abhängt.

Und da ein Kind eben nicht, wie beschrieben, automatisch und unabhängig von seinem Umfeld zu einem bestimmten Zeitpunkt „schulreif“ wird, ist es wichtig, dass es ein anregungsreiches Umfeld hat, das ihm kindgemäße Lern- und Entwicklungsimpulse gibt.
Denn schulfähig wird ein Kind vor allem, wenn es Raum und Zeit für Entfaltung erhält.

Darum spielen Familie und Kita als Entwicklungsrahmen so eine wichtige Rolle!

Ein Kind, das überwiegend sich selbst überlassen ist und sich seinen Input ganz allein suchen muss, kann sich weniger gut entwickeln.
Ist der Entwicklungsrahmen jedoch gut, haben Kinder – von individuellen Unterstützungsbedarfen oder Einschränkungen einmal abgesehen – grundsätzlich erst einmal gute Startvoraussetzungen.

Denn einen ganz entscheidenden Entwicklungsmotor bringen die Kinder schon mit: ihre Neugier!

Neugier schafft Motivation! Kinder sind von Natur aus Forscher*innen. Mit ihrer kindlichen Neugier und ihrer Entdeckungsfreude haben sie die beste Grundlage für’s Lernen. Denn Kinder (wie auch Erwachsene) lernen dann am besten, wenn die Lerninhalte eine Bedeutung für sie haben und mit Emotionen verknüpft sind. Und vor allem im Tun!

Stell dir mal vor, du bist noch nie geschaukelt: Wie viel besser wirst du verstehen, wie du mit Hilfe deiner Beine und deines ganzen Körpers Schwung holst, wenn du es selbst ausprobierst! Ganz besonders wenn du dann noch die Freude spürst, wenn es schließlich klappt und du merkst, wie viel Spaß dir das macht, je mehr Schwung du hast!
Diese Erfahrung und der damit verbundene Lerninhalt bleiben viel nachhaltiger hängen, als wenn jemand dir in der Theorie erklären würde, welche Bewegungen du beim Schaukeln ausführen musst.

Darum ist es so wichtig, dass wir die Kinder mit unseren Lernangeboten in ihrem Kind-Sein ansprechen (Arbeitsblätter tun das nicht!). Denn Kinder sind Expert*innen für selbstentdeckendes Lernen. Sie lernen im Spiel.

Und jetzt kommt’s:
Damit Kinder schulfähig werden, müssen ihre Lern-, Entwicklungs- und Lebensräume auch kindfähig sein!

Mal ehrlich: Wie oft übertragen wir unsere eigenen – durch eigene Lern- und Schulsozialisation gemachten – Erfahrungen als Erwartungen auf die Kinder?

Warum haben wir das Gefühl, ein Kind lerne irgendwie „ernsthafter“, wenn es konzentriert ein Arbeitsblatt durcharbeitet als wenn es ausdauernd ein Bauklotz-Turm-Bauprojekt umsetzt?
Warum ist das Lernen in der Schule nach allem, was wir inzwischen aus der Forschung wissen noch immer in so vielen Punkten nicht kindgemäß?
Und warum sollten wir diese Art des Lernens (am Tisch, auf dem Papier) auch noch vorziehen auf das letzte Kitajahr, wo wir inzwischen längst wissen, dass das eigentlich gar nicht dem natürlichen Lernverhalten von Kindern entspricht?

Klar, manche Kinder haben Lust auf Vorschulblätter. Die sollten wir auch nicht ausbremsen.
Aber warum ist das eigentlich so? Könnte es nicht vielleicht damit zu tun haben, dass auch sie schon Arbeitsblätter mit Schule assoziieren. Dass sie zeigen wollen, wie „groß“ sie schon sind?

Und dass sie auch immer wieder erleben, dass ihr erwachsenes Umfeld oft mit einer besonderen Aufmerksamkeit auf solche Beschäftigungen reagiert, während sie zu ihrem täglichen Spielen weniger vergleichbares, anerkennendes Feedback bekommen?

So unterstützt du deine Vorschulkinder dabei schulfähig zu werden

Armin Krenz schreibt: „Das Spiel der Kinder ist ein unersetzliches Entwicklungsfeld für den Aufbau von Fähigkeiten und den Ausbau von Fertigkeiten!“

Sätze wie „Ihr spielt ja nur mit den Kindern! Was macht ihr denn sonst noch, um die Kinder auf die Schule vorzubereiten?“ werten das Spielen ab und zeigen, dass vielen Eltern der Zusammenhang von Spielen und Lernen (noch) nicht klar ist.

Woher sollen sie es auch wissen? Die allgemeine Konzentration auf den kognitiven Bereich der Schulfähigkeit (nicht nur in den unzähligen Vorschultrainingsheften, sondern selbst bei den Schuleingangsuntersuchungen) erschwert es, auch die anderen Bereiche und ihre mindestens ebenso große Bedeutung zu sehen.

Umso wichtiger ist es, dass wir in der Kita diesem einseitigen Blickwinkel etwas entgegensetzen! Dass wir dem Spielen Raum geben! Auch in der Vorschularbeit!

Und damit meine ich nicht, dass die Kinder ihren gesamten Kita-Tag im Freispiel verbringen sollen. (Ich hab ja schon beschrieben, dass eben nicht alles von ganz allein passiert, die Kinder nicht wie Äpfel plötzlich „schulreif“ vom Baum plumpsen, sondern ein anregungsreiches Umfeld und Entwicklungsimpulse brauchen).

Nein!
Gezielte Lern- und Förderangebote sind wichtig!

Und können wichtige Impulsgeber sein. Aber sie müssen eben „kindfähig“ sein und die Kinder in ihrer natürlichen Lern- und Spielfreude ansprechen.

Wenn wir das berücksichtigen, wird die Kita zu solch einem anregungsreichen Umfeld, wie es benötigt wird, damit Kinder wichtige Fähigkeiten entwickeln und Kompetenzen entfalten können, kurz: damit sie schulfähig werden.

Und wir können auch die Eltern dabei unterstützen, die Familie zu einem anregungsreichen Entwicklungsraum zu machen.

Indem wir ihnen aufzeigen, worauf es neben den kognitiven Fähgiekeiten sonst noch ankommt. Welche Basisfähigkeiten für das Lernen in der Schule und auch für das Wohlergehen ihrer Kinder an diesem neuen Ort wichtig sind.

UND indem wir den Eltern zeigen, WIE man diese Fähigkeiten und Kompetenzen fördern kann – spielerisch, kindgemäß und alltagsintegriert. Und ohne stapelweise Vorschulhefte zu kaufen.

Lust auf noch mehr Input zu diesem Thema?

Hier sind 3 Tipps für dich:

👉 Komm in unser Webinar „Wie du die Kinder auf die Schule vorbereitest, ohne stapelweise Vorschulhefte durcharbeiten zu müssen“. Kostet nullkommanix Euro und 90 min deiner Zeit. Hier gibt’s mehr Infos und die aktuellen Termine (klicke hier).

👉 Podcast-Folge zum Thema „Was brauchen Kinder, damit der Übergang von der Kita in die Schule gut klappt?“ – Interview mit Melanie Babst von der Medical School Hamburg, Expertin für die Themen frühe Kindheit, Resilienz und Übergang Kita-Schule (klicke hier)

👉 Blogbeitrag „Das Haus der Schulfähigkeit“ (coming soon 🙂)